Einstweilige Anordnung: Bundesverfassungsgericht setzt Vollstreckung einer Freiheitsstrafe aus

Der Beschwerdeführer wurde vom Amtsgericht Frankfurt wegen Körperverletzung und Bedrohung in zwei Verfahren jeweils zu Geldstrafen verurteilt.

Gegen diese Urteile legten die Staatsanwaltschaft und der Beschwerdeführer Berufung ein.

Zwei Tage vor der Berufungshauptverhandlung rief der Verteidiger beim Amtsgericht an und wies darauf hin, dass der Beschwerdeführer „erkrankt und verhandlungsunfähig sei; ein Attest werde nachgereicht. Das Landgericht hielt am festgesetzten Termin zur Berufungshauptverhandlung am 13. September 2023 fest. Der Beschwerdeführer erschien zu diesem Termin nicht. Auch sein Verteidiger nahm an der Berufungshauptverhandlung nach entsprechender Ankündigung nicht teil.“

Das Landgericht ließ sich nicht beirren und führte die Berufungshauptverhandlung ohne den Angeklagten und ohne seinen Verteidiger durch. Das Landgericht fasste das Urteil „auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin neu und verurteilte den Beschwerdeführer wegen Störung des öffentlichen Friedens in Tateinheit mit versuchter Nötigung in Tateinheit mit Bedrohung unter Einbeziehung zweier weiterer Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Die hiergegen eingelegte Revision verwarf das OLG Frankfurt als unbegründet, da die Verfahrensrügen formwidrig erhoben und damit unzulässig seien.

Die mit Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 13. September 2023 verhängte Freiheitsstrafe wird mittlerweile vollstreckt.

Am 21. Juni 2024 erhob der Beschwerführer Verfassungsbeschwerde und beantragte den „Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet auf vorläufige Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe.“

In dem Eilverfahren der einstweiligen Anordnung rügte das Bundesverfassungsgericht zunächst, dass das Oberlandesgericht nicht zum Schutz des Beschwerdeführers tätig geworden ist:

„Zwar betrachtete das Oberlandesgericht die Verfahrensrügen, mit denen der gerügte Grundrechtsverstoß bereits im fachgerichtlichen Verfahren hätte ausgeräumt werden können, als unzulässig. Viel spricht indes dafür, dass das Oberlandesgericht dabei die Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 StPO überspannte. Es verlangte Vortrag zu Tatsachen, die zur Bewertung, ob der gerügte Verfahrensverstoß vorlag, nicht erheblich gewesen sein dürften.

Im Kern rügte das Bundesverfassungsgericht die Verfahrensweise des Landgerichts, den Beschwerdeführer ohne Verteidiger zu einer Gefängnisstrafe verurteilt zu haben:

„Viel spricht dafür, dass die Verurteilung ohne Mitwirkung eines Verteidigers in der Berufungshauptverhandlung das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren verletzte. Das Recht auf ein faires Verfahren hat seine Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs. 1 GG.[…] Nach vorläufiger Bewertung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes spricht viel dafür, dass das Landgericht die Berufungshauptverhandlung nicht ohne Mitwirkung eines Verteidigers hätte führen dürfen. Aufgrund der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge – einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren – dürfte ein Fall der notwendigen Verteidigung vorgelegen haben. Der Verstoß gegen die Bestimmungen der Strafprozessordnung zur notwendigen Verteidigung stellt eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren dar, da diese Normen das Gebot fairer Verfahrensführung konkretisieren (vgl. BVerfGE 46, 202 <210>). Aufgrund der damit eröffneten Folgenabwägung ist die vorläufige Aussetzung des Vollzugs der Freiheitsstrafe geboten.“

(Bundesverfassungsgericht – 2 BvR 829/24 -)