Die Angeschuldigten befanden sich aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 17. November 2022 seit diesem
Tag in Untersuchungshaft.
Sie sollen 110 Kilogramm Kokainzubereitung aus Brasilien über den Frankfurter Flughafen eingeschmuggelt haben.
Unter dem 24. Mai 2023 zeigte der Vorsitzende Richter des Landgerichts Überlastung an und ersuchte das Präsidium des Landgerichts Frankfurt am
Main, die Überlastung der 24. Strafkammer festzustellen und vorliegendes Verfahren auf eine andere Strafkammer zu übertragen. Zur Begründung verwies der Vorsitzende unter Vorlage des Verhandlungskalenders der Kammer bis Ende 2023 auf weitere bei der Kammer anhängige Verfahren.
In der Präsidiumssitzung vom 31. Mai 2023 wurde die vorgenannte Überlastungsanzeige erörtert. Eine Überlastung wurde mehrheitlich nicht festgestellt.
Daraufhin setzte die Kammer mit Beschlüssen vom 30. Juni 2023 die Haftbefehle des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 17. November 2022 und 15. Februar 2023 gegen Auflagen außer Vollzug.
Die Kammer begründet die Außervollzugsetzung im Wesentlichen damit, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Außervollzugsetzung gebieten würde. Bei Abwägung des Strafverfolgungsinteresses des Staates und des Freiheitsanspruchs der Angeschuldigten habe die Kammer im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit auch den Beschleunigungsgrundsatz zu berücksichtigen.
Hiergegen legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein.
Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin hob das OLG Frankfurt die Haftbefehle jedoch ganz auf.
Zur Begründung führt das OLG wie folgt aus:
„Die Beschwerden sind zulässig, haben in der Sache jedoch keinen Erfolg; sie führen vielmehr zur Aufhebung der Haftbefehle. […]Die Angeschuldigten sind der ihnen in den Haftbefehlen des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 17. November 2022 bzw. 15. Februar 2023 zur Last gelegten Taten nach Maßgabe der Anklageschrift vom 14. April 2023 dringend verdächtig. Gegen die Angeschuldigten besteht auch der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO, wovon sowohl die Strafkammer als auch die Staatsanwaltschaft grundsätzlich übereinstimmend ausgehen. […] Auf die Beschwerden der Staatsanwaltschaft, die gemäß § 301 StPO auch zugunsten der Angeschuldigten wirken, sind die Haftbefehle aufzuheben. […]Die Aufrechterhaltung der Haftbefehle ist vorliegend nicht gerechtfertigt, weil das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 5 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz MRK folgende Beschleunigungsgebot verletzt ist. Das in Haftsachen geltende Gebot der besonderen Verfahrensbeschleunigung verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte von Anfang an alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (vgl. nur BVerfG, BeckRS 2007, 33088). Liegt ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot vor, kann die Untersuchungshaft zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der Strafvollstreckung nicht mehr als notwendig anerkannt werden. Selbst wenn noch keine vermeidbare Verzögerung vorliegt, aber bereits hinreichend deutlich absehbar ist, dass das Verfahren nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung betrieben werden kann, ist von der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft abzusehen (BVerfG, BeckRS 2007, 33088; OLG Stuttgart, NStZ-RR 2012, 62). Eine erst bevorstehende, aber zum Entscheidungszeitpunkt schon deutlich absehbare Verfahrensverzögerung steht einer bereits eingetretenen Verfahrensverzögerung gleich (BVerfG, Beck RS 2021, 1240 Rn. 39).
So liegt der Fall hier. Die Strafkammer hat in den angefochtenen Entscheidungen festgehalten, dass angesichts der Belastungssituation der Kammer die Hauptverhandlung nicht vor Januar 2024 beginnen könne. Zwischen Eröffnungsreife und Hauptverhandlung lägen mithin nicht drei Monate, wie dies üblicherweise der Fall sein soll, sondern rund sechs Monate. Damit verzögert sich das Verfahren absehbar um mindestens drei Monate, weshalb schon nicht von einer nur vorübergehenden Überlastung auszugehen ist. Die Verzögerung ist schließlich auch der Justiz anzulasten, was die Aufhebung und nicht die Außervollzugsetzung der Haftbefehle gebietet.
Justizinterne Unstimmigkeiten zwischen dem Präsidium des Gerichts und der Kammer bzgl. deren Belastungssituation dürfen nicht zu Lasten der Angeschuldigten gehen. Die Angeschuldigten haben die absehbare Verzögerung keinesfalls zu vertreten.“
OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. Juli 2023 – 1 Ws 225/23